Naturnahe Forstwirtschaft in Brandenburg

Keine Kahlschläge, bodenschonende Ernte, Totholz im Wald, Vielfalt bei Baumarten und Altersklassen: Diese und weitere Prinzipien kennzeichnen naturnahe Forstwirtschaft. Was sie im Detail bedeuten, ist aber nicht verbindlich geklärt. Auch bei den Nachhaltigkeitssiegeln gibt es Unterschiede.

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Die naturnahe Forstwirtschaft zielt darauf ab, die ökologischen, ökonomischen und sozialen Ökosystemleistungen der Wälder durch eine möglichst natürliche Bewirtschaftung zu erhalten oder wiederherzustellen. Dabei wird der Wald als dynamisches, vielgestaltiges und vor allem dauerhaftes Ökosystem betrachtet. Die naturnahe Forstwirtschaft steht damit in einem deutlichen Kontrast zum Konzept des Altersklassenwaldes, das durch schlagweise Bewirtschaftung mit regelmäßigen Kahlschlägen gekennzeichnet ist.

Die Eckpfeiler naturnaher Forstwirtschaft

Bis heute gibt es keine überregional einheitliche und festgeschriebene Definition der naturnahen Forstwirtschaft. Dies führt dazu, dass sich in den einzelnen Bundesländern verschiedene Konzepte etabliert haben.

Einige Eckpfeiler der naturnahen Bewirtschaftung von Wäldern sind dabei jedoch in nahezu jedem der regionalen Konzepte zu finden:

  1. In der naturnahen Forstwirtschaft wird auf Kahlschlag verzichtet.
  2. Es erfolgt stattdessen eine konsequente Einzelbaumnutzung.
  3. Hierbei gilt das Prinzip der Vorratswirtschaft: Der Bestand wird nach der Regel „das schlechteste fällt zuerst“ gepflegt.
  4. Der Einsatz von Chemikalien etwa zur Schädlingsbekämpfung wird reduziert oder unterlassen.
  5. Bei der Holzernte haben bodenschonende Verfahren Vorrang.
  6. Die naturnah bewirtschafteten Wälder sind baumartenreich und altersgemischt.
  7. Sie zeichnen sich durch einen insgesamt hohen Strukturreichtum inklusive Totholzanteil aus. Dies führt zu einer großen Vielfalt an Pflanzen- und Tierarten.
  8. Die Verjüngung der Wälder erfolgt primär natürlich oder durch Ansaat.
  9. Ökonomische Ziele stehen zwar im Vordergrund, sind aber nur zu erreichen, wenn ökologische- und Nachhaltigkeitsaspekte beachtet werden.
  10. Weitere Funktionen wie der Naturschutz oder die soziale Komponente von Wald werden in naturnah bewirtschafteten Wäldern automatisch miterfüllt.

Ein naturnaher Wald ist also im Idealfall gleichzeitig sowohl für den Naturschutz als auch für die Holzwirtschaft und das Wohlergehen der Menschen erstrebenswert.

Zertifizierte Nachhaltigkeit

Auf Grundlage einer naturnahen Forstwirtschaft werden auch die Nachhaltigkeitszertifikate in der Waldwirtschaft vergeben, die sich auf Holz- und Papierprodukten finden. Die bekanntesten Siegel sind die der Zertifizierungssysteme Programme for the Endorsement of Forest Certification Schemes (PEFC) und Forest Stewardship Council (FSC). Doch vor allem am PEFC gibt es Kritik; von ihm raten unter anderem die Umweltverbände BUND, Greenpeace, NABU und WWF ab, weil sie keine unabhängige Kontrolle der teilnehmenden Betriebe sehen und die Kriterien für zu wenig verbindlich halten.

Die strengsten Standards hat das von Umweltverbänden initiierte Naturland-Siegel. Es fordert unter anderem waldverträgliche Wildbestände und sich selbst überlassene Entwicklung des Waldes auf zehn Prozent der Forstfläche. In Brandenburg sind beispielsweise die Wälder der Berliner Forsten mit dem Naturland-Siegel zertifiziert.

Naturland- und FSC-Siegel

Waldumbau in Brandenburg

Brandenburg ist ein Waldland. Rund 800 Millionen Bäume wachsen auf 1,1 Millionen Hektar und damit auf über einem Drittel der Landesfläche. Davon sind heute bereits 587.810 Hektar oder 54 Prozent PEFC-zertifiziert. Im landeseigenen Wald nimmt die Fläche zu, die mit dem anspruchsvolleren FSC-Siegel zertifiziert ist. Ende 2021 waren knapp 12.000 Hektar FSC-zertifiziert, Ende 2024 sollen es 60.000 Hektar sein, was einem Anteil von 22 Prozent am Landeswald entspricht.  

Mit 70 Prozent hat Brandenburg gleichzeitig deutschlandweit den größten Kiefernanteil in den Wäldern. Um dies zu ändern, läuft bereits seit 1990 ein generationsübergreifendes Waldumbauprogramm. Bis 2014 wurden so in Brandenburg laut landesweiter Waldinventur 75.000 Hektar Kiefernwälder mit Laubholz angereichert.

Im Landeswald wurden bis 2014 jährlich etwa 1.500 Hektar durch Pflanzung oder Saat aktiv umgebaut. Hinzu kommt der Waldumbau im Privat- und Körperschaftswald auf etwa 500 bis 1.000 Hektar pro Jahr. Durch natürliche Verjüngung entstanden weitere naturnähere Waldflächen.

Naturnahe Forstwirtschaft in Brandenburg praxisnah erforschen

Unter dem Namen Gläserner Forstbetrieb läuft in Brandenburg seit 2017 ein auf sechs Jahre angelegtes Forschungsprojekt. Ziel ist es, eine naturnahe und ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltige Forstwirtschaft im nordostdeutschen Tiefland auf Grundlage der Prinzipien des Ökosystemansatzes praxisnah und auf verschiedenartigen Waldflächen zu erforschen.

Im Projekt werden dazu unter anderem sogenannte mikroklimatische Datenlogger eingesetzt. Diese Geräte erfassen Temperatur und relative Luftfeuchte an verschiedenen Standorten im Waldbestand. Die so erhobenen Daten geben einen Hinweis darauf, wie etwa die Holzernte oder Verjüngungsmaßnahmen das Innenklima des Waldes beeinflussen. Sie beantworten damit eine der entscheidenden Fragen hinsichtlich der Stresstoleranz der Wälder im Klimawandel.

Die NABU-Stiftung Nationales Naturerbe und der Landesbetrieb Forst Brandenburg haben für den Gläsernen Forstbetrieb mehr als 1.000 Hektar Wald im nördlichen Brandenburg zur Verfügung gestellt. Das Ökosystem Wald soll auf den Versuchsflächen stabilisiert und über seine Funktion als Wirtschaftswald hinaus auf andere Ökosystemleistungen untersucht werden.

Bislang einmalige Kooperation von Naturschutz und Forstwirtschaft

Im Projekt arbeiten erstmals ein Naturschutzverband und ein öffentlicher Forstbetrieb Hand in Hand an der Umsetzung einer multifunktionalen Waldbewirtschaftung. Alle Maßnahmen auf den Projektwaldflächen werden gemeinsam geplant. So können die unterschiedlichen Ansprüche und Anforderungen optimal berücksichtigt und zusammengebracht werden.

Erste Datenauswertungen aus dem Projekt Gläserner Forstbetrieb konnten bereits Unterschiede in den Tageshöchsttemperaturen der einzelnen Vergleichsflächen aufzeigen. So erwärmten sich Kiefernforste generell deutlich stärker als ein alter Buchenwald. Die Temperaturdifferenz zwischen Buchenwald und bewirtschaftetem Kiefernforst betrug an manchen Tagen über zehn Grad Celsius.

Naturnähe neu denken

Der Waldumbau hin zu einer naturnäheren Forstwirtschaft ist in unserer Zeit besonders in einem so waldreichen Land wie Brandenburg aktueller denn je. Denn ein natürlicher, möglichst arten- und strukturreicher Wald kann dem sich wandelnden Klima und den Folgen dieses Wandels am besten begegnen.

Heute muss Naturnähe jedoch aufgrund der im Eiltempo voranschreitenden globalen Erwärmung mitunter weiter als bisher gedacht werden. Denn die Natur hat an vielen Stellen nicht die Zeit, sich ohne Unterstützung an den raschen Wandel anzupassen.

Konzepte wie die Assisted Migration oder die Humuseinbringung in Wälder sind hier Optionen, um heute dafür zu sorgen, dass sich der möglichst naturnahe Wald von morgen tatsächlich entwickeln kann.

 

Dieser Artikel ist ein Beitrag aus dem Dossier Die Zukunft des Waldes in Brandenburg.